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Leserinnen und Leser kennen Lyrik vor allem aus Anthologien. Jdische Lyrik wird dabei meist mit der Dichtung von Shoah-berlebenden assoziiert. Jdische Herausgeber sammelten jedoch schon viel frher jdische Dichtung. Den Anspruch, fr eine Gruppe zu sprechen und damit ihr Bild in der ffentlichkeit mitzubestimmen, machte die Gattung Anthologie nicht nur fr literarisch Ambitionierte attraktiv, sondern auch fr unterschiedliche politische Gruppen. Unter Titeln wie Junge Harfen (1903), Lyrische Dichtung deutscher Juden (1920) oder Jdische Volkslieder (1935) versuchten Kulturzionisten, eigenstndige jdische Dichtungstraditionen zu etablieren. Doch auch alternative kulturpolitische Konzepte whlen die Anthologie als Mittel, wie etwa in Julius Moses Anthologie Hebrische Melodien (1920), die das Jdische ber das Thema und nicht die Herkunft bestimmt. Einige jiddischsprachige Anthologien schlugen einen hnlichen Weg ein: Sie versuchen, eine nationale jiddische Dichtung zu etablieren, indem sie auf die von Herder zurckgefhrte Idee von in der Volksdichtung verwurzelten Nationalliteraturen setzen. Die Anthologie zeigt sich dabei nicht nur als Publikationsform, sondern auch als literarische Gattung mit einem dezidierten Bewusstsein ber ihre Geschichte. Carmen Reichert zeigt, dass Anthologien nicht nur als ein zu Unrecht vernachlssigter Teil unserer Literaturgeschichte anzusehen sind, sondern auch als wichtige historische Dokumente einer um ihr kollektives Wesen und dessen Darstellung nach auen ringenden Gemeinschaft.
- Format: Inbunden
- ISBN: 9783525573150
- Språk: Tyska
- Antal sidor: 350
- Utgivningsdatum: 2019-02-18
- Förlag: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co KG