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Totenkult und Geschichtsschreibung werden heute keineswegs zufallig auseinandergehalten. Historiographie ist kritisch, Totenkult der Ehre verpflichtet. Diese Trennung hat aber ihre eigene Geschichte. Von der Antike bis in die Aufklarung hinein diente die Geschichtsschreibung der Sicherung des Nachlebens und war Teil totenkultischer Praktiken. Seit dem Spatmittelalter entfaltete sie jedoch eine eigentumliche emanzipatorische Kraft: Verhalf sie zunachst den Laien, sich vom klerikalisierten Totenkult zu losen, wurde sie seit der Aufklarung zu einem Instrument der Emanzipation von Tradition schlechthin. Mochten Taten fruher aus der Vergegenwartigung groer Toter motiviert sein, so weigert sich gerade das Jahrhundert des Historismus, seinen Geist dem Totenhaus der Geschichte zu uberlassen (Hegel). Historische Kritik war zu einer Waffe in der Hand der Lebenden geworden, um die Toten zu richten, Bestehendes zu vernichten und eine neue Welt zu errichten (Marx, Nietzsche). Insofern hatte die Geschichtsschreibung - obgleich sie schon am Ende des 19. Jahrhunderts antiquiert erschien - an der Entstehung dessen, was sie in Abgrenzung zur Tradition als Moderne bezeichnet hatte, einen konstitutiven Beitrag geleistet, der weit uber begriffliche und asthetische Dimensionen hinausgeht.
- Format: Pocket/Paperback
- ISBN: 9783862530489
- Språk: Tyska
- Antal sidor: 620
- Utgivningsdatum: 2014-12-31
- Förlag: Konstanz University Press