Textkritik und Textgeschichte

Gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. bemerkte schon der anonyme bersetzer des deuterokanonischen Buches Jesus Sirach die betrchtlichen Unterschiede zwischen den hebrischen Texten von Gesetz, Propheten und anderen Bchern sowie ihrer griechischen bersetzung, die sich in der sogenannten Septuaginta erhalten hat. Eine derartige non parva differentia stellte er auch beim Vergleich seiner griechischen Version und ihrem hebrischen Ausgangstext fest. Die Unterschiede zwischen hebrischem und griechischem Bibeltext waren den Auslegern und bersetzern ber Jahrhunderte bekannt. Viele von ihnen, so etwa Hieronymus, verbanden mit dieser Feststellung abwertende Urteile ber die Zuverlssigkeit der Septuaginta. Sptestens seit der Zeit des Humanismus griffen christliche Ausleger aber immer wieder auf den griechischen Bibeltext zurck, wenn der hebrische sich als schwierig oder gar rtselhaft erwies, und suchten diesen wenigstens punktuell mit Hilfe der griechischen Textvarianten zu verbessern. In den letzten ca. 30 Jahren ist die textkritische Forschung am Bibeltext mehr und mehr von diesem Verfahren abgerckt. Der Text der Septuaginta wird vielmehr in seiner ganzen Vielfalt und Entwicklung als ein Zeuge der Textgeschichte des Alten Testaments angesehen, der eine eigene Betrachtung verdient. Die im vorliegenden Band gesammelten Artikel greifen diese Fragestellung auf. Anhand ausgewhlter Beispiele vor allem aus den Psalmen sowie den Prophetenbchern wird herausgearbeitet, dass die bersetzer den Sinn ihrer hebrischen Ausgangstexte einerseits zu bewahren versuchten, andererseits aber auch neue inhaltliche Akzente setzten. Dabei ist ein Einfluss zeitgenssischer Theologie oft unverkennbar. Und dennoch ist damit nicht ausgeschlossen, dass die Septuaginta stellenweise einen ursprnglicheren Bibeltext bewahrt als die Hebrische Bibel.