Polyphonie des Elends

Dirk Sager versteht Psalm 9/10 als einen programmatischen Text, der vorhandene Gebetsuerungen (Lob, Klage, Vertrauen) zu einem dialektischen Konzept verarbeitet und als Stimmen von 'Elenden und Armen' interpretiert. Dabei beziehen sich die Schreiber auf ltere Psalmen, in denen sich die Beter selbst jedoch nicht als 'elend und arm' bezeichnen. In der Konsequenz entpuppt sich die herkmmlich unter dem Begriff 'Armenfrmmigkeit' gefasste Traditionslinie als integraler Bestandteil der Religionsgeschichte Israels und nicht als Sonderzweig elitrer Gruppen. Der Autor vergleicht Psalm 9/10 mit ihm zeitlich und konzeptionell nahe stehenden Entwrfen aus dem Bereich der Psalmen, der Prophetie und der Weisheit und bringt so den vielstimmigen Diskurs ber die Lage der Bedrngten ans Licht. Dabei zeigen sich ein engerer und ein weiterer Diskurszusammenhang. Diese Diskurse sind untereinander kompatibel und haben etwa denselben sozialgeschichtlichen Hintergrund, nmlich den bergang von der persischen zur hellenistischen Epoche des nachexilischen Juda (4. Jh. v. Chr.). Die Psalm 9/10 inhrente Programmatik erschliet zudem dessen hervorragenden Platz im Gefge des ersten Davidpsalters (Ps. 3-41) sowie seine Rolle im Zuge der literarischen Komposition dieser Psalmen. Im Konzert mit seinen Nachbartexten entsteht so eine 'Polyphonie des Elends', in der sich parallele und tangentiale Armenkonzepte gegenseitig interpretieren.