Faktizitt und Normativitt

Warum Jellinek? Weil bis zum heutigen Tag nicht einmal die Rechtswissenschaft mit Jellineks Doppelperspektive auf das Recht viel anzufangen wei. Im Grunde ist ihr seine Methode suspekt: zu staatsfixiert oder zu soziologisch - oder beides. So ist vieles verschttet worden, was die moderne Staatsrechtslehre erst neuerlich, mitunter mhsam im Zuge wachsender Internationalisierung und Globalisierung, aufbaut. Das Recht jenseits des Staates zu denken, die "Eigenlogik" gesellschaftlicher Praxis und deren Ordnungsfunktion und Bedeutung fr das Recht zu erfassen, den internen Legitimationskern des Rechts und dessen Fruchtbarkeit zu erkennen, all das sind Herausforderungen, die in den Rupturen der letzten zwei Jahrzehnte sichtbar geworden sind. Da gerade Jellinek zum Verstehen dieser Herausforderungen mageblich beitragen kann, mag nur fr jene paradox erscheinen, die in ihm ein altes "Zitierfossil" (Kersten) einer berkommenen Disziplin sehen. Die Allgemeine Staatslehre hat sich die Aufgabe gestellt, elementare Ordnungsphnomene zu durchdringen. Und auch wenn diese zum Teil ihre Gestalt gewandelt haben - die Macht des Staates ist kleiner geworden, die Ansprche der Gesellschaft politischer -, so bleibt doch die Aufgabe nach wie vor aktuell; und mit ihr viele der bekannten Probleme, die immer noch Rtsel aufgeben. Eines dieser Rtsel ist das "Doppelleben" des Rechts, nmlich "[e]inmal als tatschliche Rechtsbung, als welche es eine der sozialen Mchte ist, die das konkrete Kulturleben eines Volkes ausgestalten. Sodann aber als ein Inbegriff von Normen, der bestimmt ist, in Handlungen umgesetzt zu werden." Diese kleine Passage, die sich in der "Allgemeinen Staatslehre" findet, umreit Jellineks groes Thema, sein Lebensthema, das smtliche Stichwrter durchwirkt, die ihm den Rang eines Klassikers eingebracht haben.